Über aussterbende Kulturtechniken, ..
- .. z.B.: Das Aufsperren von Schlössern mittels Schlüssel, sowie das Landkartenlesen & der Gebrauch des Verstandes
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Na dann sperr halt mit dem Schlüssel auf, du Hirsch, rät mein Kollege ihm am Telefon. – Ah ja, sagt der, und ruft danach nimmer an: hat er also das Autotüraufsperren mittels herkömmlicher Autoschlüssel-ins-Türschloss-stecken-Technik erfolgreich hingekriegt.
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Kollege Trithemius schreibt hier über einen, welcher das vermeintliche Schwinden der Kulturtechnik Handschrift beklagt, weil allenthalben nur mehr per Tastatur oder Touchscreen geschrieben wird. Mag sein. Als zu unserer Schulzeit die elektronischen Taschenrechner populär wurden, wurde über das drohende Aussterben der Kulturtechnik Kopfrechnen geklagt – mag ebenfalls sein. Ob man das nun für betrüblich halten will oder nicht: Fakt ist jedoch, dass das gedeihliche Fortkommen der Menschheit dadurch kaum ernstlich beeinträchtigt oder gefährdet würde. Es beklagt sich ja auch keiner, fortschrittliche Errungenschaften wie z. B. telefonischer Pizzabestellservice verdrängten die althergebrachte Kulturtechnik, loszuziehen und sich seine Mahlzeit selber zu jagen oder pflücken.
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Mit dem Aussterben anderer Kulturtechniken kanns hingegen problematischer werden: wenn etwa beim Auto meines Kollegen auch das Navi ausfiele, würde sein Tochterfreund womöglich nimmer heimfinden und bliebe samt Auto verschollen. Obwohl er nochmal anrufen und erfahren könnte, dass im Handschuhfach eh ein Stadtplan liegt – aber damit leider nix anzufangen wüsste: vielen ist die Kulturtechnik des Landkartenlesens ja aufgrund permanenter Navi-Gängelung mittlerweile fremd geworden. (Manchen bekanntlich auch der Gebrauch des ungetrübten Verstandes, die semmeln sodann sehenden Auges schnurstracks in die Rabatten, weil ihr Navi ihnen angeschafft hat: »Fahren Sie geradeaus durch den Kreisverkehr.«)
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(Fällt mir grad im Zusammenhang mit ferngesteuerter vs. manueller Türverriegelung der Opel Diplomat ein, den ich mal besaß: der hatte elektrische Fensterheber, aber überdies dazu noch Fensterkurbeln, und das erschien mir doch recht apart. Wären die elektrischen Fensterheber also mal hin gewesen, hätten sich die Fenster dennoch auf die landläufige Methode händisch aufkurbeln lassen. Oder der Silver Dawn von 1955, der als letzter Rolls Royce noch das traditionelle Loch vorn in der Stoßstange hatte wodurch er sich notfalls per Kurbel anwerfen ließ, sollte der elektrische Anlasser ausfallen.) (Im Reader’s Digest las ich darüber die Anekdote, wo einer einen Rolls Royce kaufen will und sich über das für den Kurbelstart vorhandene Loch mokiert: wozu ein zuverlässiges Auto das überhaupt nötig habe? Darauf belehrt ihn der Verkäufer, wozu er überhaupt Brustwarzen benötige: nämlich für den Fall, dass er mal ein Kind gebäre und es stillen müsse. Und ebenso wahrscheinlich trete mal der Fall ein dass die Kurbel notwendig wäre, weil ein Rolls Royce nicht zuverlässig anspringen würde.) Aber zurück zum Thema:
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War das mit der Ratlosigkeit, die manch einen im gewohnten Alltag heillos zu übermannen dräut, sobald gewohnte Alltagstechnik sich unversehens ihres Dienstes entschlägt, eigentlich schon immer so? Stand denn Alexander der Große ratlos vor dem Gordischen Knoten wie der Ochs vorm Tor und Tochterfreund vor Autotür, weils damals keine Knotenlösungs-App fürs Smartphone gab? Hätten die Wikinger denn Grönland und die Fidschis die Osterinsel nicht entdeckt, wenn ihr Navi ausgefallen wäre? – Oder handelt sichs um eine zeitgenössische Problematik, welche akut hervortritt: sollten nachkommenden Generationen gar trübe Aussichten bevorstehen, weil sich beim Ausfall diversen technischen Schnickschnacks ohne diesen keiner mehr anderweitig zu behelfen wüsste?
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Nein, das gravierende Manko an kreativer Problemlösungskompetenz, woran so mancher Exponent der Spezies Homo sapiens (sapiens, lat.: »vernunftbegabt«) laboriert, ist kein modernes Phänomen, das gabs schon immer. Man kennt das von der Fliege und dem Fenster: ein Fensterflügel zu, einer geöffnet. Was macht die Fliege? Wummert unablässig gegens Fensterglas bis der Schädel brummt, anstatt einfach beim offenen daneben ungehindert rauszufliegen. Das Fliegenhirn kapierts halt nicht: »Was mit Gewalt nicht geht, muss auch mit mehr Gewalt noch lang nicht gehen«, und kennt nicht die Problemlösungsalternative: »Was so nicht geht, geht vielleicht anders«. Wie die Autofahrer, die mit durchdrehenden Rädern im Schnee festsitzen und trotzdem beharrlich Vollgas geben obwohl das offensichtlich nix nützt: auf die naheliegende Idee »wenn mehr Gasgeben nix nützt, nützt vielleicht weniger« kommen die nicht. Und werden auch nicht klüger daraus, sondern fallen eher dem Schädelbrummen oder der Trübsal anheim, als eine probatere Strategie in Erwägung zu ziehen.
(Karl Kraus schrieb einst: »Es scheint der Menschennatur verhängt zu sein, durch Erfahrung dümmer und erst durch deren Wiederholung klüger zu werden, und besonders die Intelligenz muss viel mitmachen, bevor sie zur Einsicht gelangt [..]« – Dahin gelangt indessen beileibe nicht jeder, und nicht unbedingt muss mangelnde Intelligenz die Ursache dafür sein. Nennen wirs stattdessen lieber: mangelnde Problemlösungskompetenz auf dem Gebiet der Kulturtechnik Autofahren.)
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Tja, worauf wollte ich bei dem ganzen Thema samt Abschweifungen eigentlich hinaus? Weiß nimmer. (Bissel herumgemosert halt, wieder mal. Genug für heute.)
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(Beitrag zu Kollege Dominiks *.txt-Projekt: »trüb«)
nömix - 2016/04/26 10:51