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Nostalgisches

Nimmer ganz aktuell


(Wien II., Taborstraße)

Badetag

Am Samstagabend vor 50 Jahren setzt die Mutter den großen Wäschetopf mit Wasser auf den Herd. Das Backrohr steht offen, damit es in der Küche warm wird. Wenn das Wasser heiß ist, wird die Volksbadewanne aus der Abstellkammer hervorgeholt und in der Küche aufgestellt:
Wenn die Kinder in der Wanne zu hohe Wellen machen, gibts ein Gepritschel auf dem Küchenboden und Ärger mit der Mutter.

12. Juni – Vatertag

Mein Vater war früher ein ausgesprochen fescher Kampel, ein humorvoller, groß­herziger und überaus fleißiger & anständiger Mensch. Leider starb er früh und lernte seine Enkelkinder nimmer kennen, er wäre bestimmt ein fabelhafter Opa gewesen.



Wie mein Vater damals in den Fuffziger-Jahren meine Mutter kennenlernte: meine Mutter war in Hart am Kohlreith in der Einschicht daheim, eine Stunde Fußmarsch von Neulengbach im Wienerwald den Berg hinauf. Im Winter schulterte mein Vater seine Schi und marschierte zum Schifahren auf den Kohlreithberg, als er vor sich eine junge weibliche Person erblickte, die sich mit einem offenkundig ungeheuer schweren Koffer durch den Neuschnee plagte. Mei­ne Mutter hatte sich von ihrem ersten selbst­verdienten Geld eine Singer-Nähmaschine ge­kauft, ein elendsschweres gusseisernes Trumm, und schleppte sie grad heim. Mein Vater holt sie ein und geht eine Zeitlang neben ihr und hört ihr beim Schnaufen zu, bis er schließlich fragt: »Ist der Koffer wirklich so schwer, oder tun Sie nur so?« – »Probieren S’ doch selber!« schnauft ihn meine Mutter wütend an, und mein Vater schnappt ihren schweren Näh­ma­schi­nen­koffer und schleppt ihn, seine Schi auf der andern Schulter, hinauf bis nach Hart am Kohl­reith, wo er zuletzt selber vor Erschöpfung schnauft. Als er wieder zu Atem gekommen ist, verabreden sie sich zu einem Wiedersehen.
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(*.txt-Projekt von Kollege Dominik).

Fliegender Ziegelstein

.. aus der Reihe: “Dinge die man einmal besaß, um die einem heute noch leid ist“ (III)

Als Sporttourer ist die legendäre BMW K1100RS bis heute unübertroffen: liegender 16-Ventil- Vierzylinder-Einspritzer (»fliegender Ziegelstein«*), Trockengewicht nur 250 kg, ungedrosselt an die 120 PS, Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 3,6 sek., ABS serienmäßig, verstellbares Sportfederbein nachgerüstet. (Zum Pizzaausliefern allerdings bissel übermotorisiert.) Meine Tochter fuhr leidenschaftlich gern mit, und als sie einmal einen dieser Goldwing-Typen sah, der den Straßenverkehr mit seiner Bord-Stereoanlage aufmischte, fragte sie: »Wieso haben wir kein Radio am Motorrad. Und CD-Player.« – Na weil das grober Unfug ist, sag ich, selber hört man unterm Helm von der Musik eh nix und dem Rest der Welt geht man damit auf die Nerven. Aber: Kindes Wunsch ist Vater Befehl, also installierte ich im Topcase eine Radio-CD-Anlage mit einem Satz 30-Watt-Boxen und meterlanger Antenne, und fortan wurde die Welt mit Fräulein Tochters Lieblings-CDs beschallt, wenn sie mitfuhr.
Bedauerlicherweise schoss mich eines Morgens ein unachtsamer Autofahrer von rück­lings ab, als ich grad vor einer roten Ampel stand, was mich auf seiner Kühlerhaube landen ließ und meine schöne BMW unter einem Autobus der Linie 13A, welcher von rechts kam und grad grün hatte. Eine herzhafte Steißbeinprellung bescherte mir zwar eine Woche auf dem Bauch schlafen und im Stehen essen sowie ein saftiges Schmer­zensgeld von der Versicherung, aber die BMW erwischte es leider schlimmer, die war hin. Der Anprall war so heftig gewesen, dass die Hinterradfelge und sogar die Kardan­welle verbogen waren, und der Vorderradgabel hatte der Bus den Rest besorgt. Das Ende einer Legende, um das gute Stück ist mir heute noch leid.

Sunburst, halbakustisch

.. aus der Reihe: “Dinge die man einmal besaß, um die einem heute noch leid ist“ (II)

Anfang 80er-Jahre besaß ich einen halbakustischen E-Bass, ein un­de­fi­nierbares Fabrikat mit klassischen F-Löchern und schicker Sunburst-Lackierung. Der Hals war verzogen, und ich ersetzte ihn durch einen neuen Ibanez-Hals, den ich zurechtfeilte und in den Korpus einpasste. Ein Unikat von erlesener Schönheit, und nahezu unspielbar.
Wir waren eine eher unbedeutende Kellerband, aber immerhin ver­schaffte uns eine Agentin eine zweiwöchige Tournee mit zehn Auf­tritten in der Schweiz, und ein Konzert in der Zürcher Roten Fabrik kriegte sogar hervorragende Kritiken in der Lokalpresse. Ich war da­mals zum erstenmal in der Schweiz und stellte über­rascht fest, dass die Schweizer uns offenbar für eine Art exotische Hinterwäldler hiel­ten und ihrerseits überrascht waren, dass den Österreichern bereits der elektrische Strom bekannt war und wir mit Elektro-Instru­men­ten Musik machten.
Kurz danach ruinierte ich mir einen Nerv am Handgelenk und konnte deswegen nimmer spielen. Der E-Bass verstaubte über die Jahre in einer Ecke, und irgendwann verscherbelte ich ihn samt Steelphon-Röhrenverstärker zum Liebhaberpreis. Heute ist mir um das schöne alte Stück leid, wenn ichs noch hätte, würde ich es an der Wohn­zimmerwand überm Sofa aufhängen.

Alter Schwede

.. aus der Reihe: “Dinge die man einmal besaß, um die einem heute noch leid ist“ (I)

Gestern sah ich wieder so ein Schweden-Möbel fahren, noch mit original schwarzen Kenn­zei­chen­tafeln, in alter Grandezza. Erich Honecker hatte so einen (mit Velours­sitzen), und ge­nau­so einen hatte ich auch mal, aber mit Ledersitzen:

Volvo 764 GLE Bj.’82 (2,8 l Sechszylinder-Einspritzer 156 PS, Direktionsfahrzeug chauffeur­gepflegt, Kilometerstand 180.000) – Auto gesehen und gekauft, ein echter Glücks­treffer: 1988 angeschafft um 60.000,- Schilling und weitere 100.000 Kilometer damit zurückgelegt, ohne Probleme. Fünf Jahre später Frontalschaden, abgeschossen von juvenilem Golf GTI-Piloten – Schadenssumme überstieg Zeitwert, somit leider als Totalschaden zu bewerten. Was für ein Jammer. Um das Auto ist mir heute noch leid.


(Sitze & Rückbank aus noblem schwedischen Rindsleder kriegten unten Sockelgestelle dran­geschweißt und stehen bis heute bei meinem Schwager im Wohnzimmer als Sitz­garnitur. Die 15-Zoll-Alufelgen hab ich noch immer im Keller liegen.)

Heute reproducieren wir eine aviatische Jupeculottin


(Allgemeine Automobil-Zeitung, 1911)

»Die Debatten über die „jupe≈culotte“ füllen jetzt die Spalten der Blätter. Man spricht von der neuen Mode wie von einer „europäischen Gefahr“, und tatsächlich ist es in verschiedenen Städten, wie Paris, Madrid, oder Turin, zu regelrechten Straßendemon­strationen gekommen, als sich Damen im „Höschenrock“ ins Freie wagten.«

Stellt’s meine Roß’ in Stall


Herr Holzer entschloß sich nach dreiundvierzigjähriger Tätigkeit als Fiaker nunmehr eine A d l e r ≈ Automobildroschke anzuschaffen und hat die Lenkerprüfung mit sehr gutem Erfolge abgelegt.
.(Allgemeine Automobil-Zeitung, 1911)

5. Dezember

Heute vor 85 Jahren wurde mein Vater geboren, in Haida bei Reichenberg/Deutsch­böhmen (heute Liberecký kraj/CZ), leider starb er früh. Als 17-jähriger wurde er ein­gezogen, geriet in italienische Gefangenschaft, nach Kriegsende war eine Rückkehr in die Heimat nimmer mög­lich. Familienfotos zeigen ihn gleichgroß wie meine Brüder und mich, alle um die 1,80. In sei­nem Wehrpass stand aber, als er dazumals ein­rückte: Größe 1,70 – ein Halbwüchsiger noch, der in den Krieg ziehen musste und erst als Erwachsener wie­der­kam, wie viele damals. Als Staatenloser, und heimatlos.

Ich habe eine Messing-Armbanduhr von ihm geerbt, die er anno sei­ner­zeit von seiner Auto-Haftpflichtversicherung für fünfzehn Jahre unfallfreies Fahren gekriegt hatte, und einen Rasier­pinsel. Den Rasier­pinsel verwende ich noch immer, er schaut nimmer ganz neu aus, aber funktioniert noch tadellos.

17. Juli

Phoebe Snow hat heute Geburtstag, kennt die heutzutags eigentlich noch irgendwer? Mit der Ver­öffentlichung ihres Debut-Albums 1974 als 22-Jährige galt sie seinerzeit als große Ent­deckung und spielte bereits mit legendären Jazz-Größen zusammen, hier mit dem Saxo­pho­nisten Stan Getz (oder Zoot Sims?, bin mir nicht sicher):
Vielleicht nimmer die Art Musik, für die sich heute noch jedermann begeistert – aber, glaubt mir Leute: der perfekte Soundtrack, um damals in den 70er-Jahren dazu paar Räu­cher­stäb­chen anzuzünden & mit einem schönen sanftmütigen indische Fußkett­chen tragenden nach Patschuli riechenden Mädel beisammenzuliegen.